"Viele Popsongs wurden wie Gospelsongs geschrieben!"

 

Schweinfurt (19.10.2008) - Der aus Schweinfurt stammende Musiker Eckhard Naujoks, über den wir auf swex.de mehrfach schon berichteten, wird nun ausgezeichnet. Er bekommt im November den Deutschen Rock & Pop Preis für den besten Gospelsong 2008 verliehen. Im Interview sprach Naujoks über diverse Themen und natürlich vor allem über seine Musik.

 

Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Rock & Pop Preis für den besten Gospelsong des Jahres 2008! Eine tolle Auszeichnung! Mir fiel bei deiner Musik gleich auf, dass sie Tiefe hat und dass die Texte eine öffnende, liebevolle Qualität haben, doch nahm ich sie mehr als Popmusik wahr, weniger als Gospelmusik. Wie siehst du das?

 

Dies ist eine Frage des Arrangements. Es gibt viele Popsongs die wie Gospelsongs geschrieben sind, z.B von den Beatles "Let it be" oder von Bob Dylan "Kocking on heavens door". U2 hat auch eine ganze Menge Lieder geschrieben, die, was das Songwriting angeht, eigentlich Gospelsong sind, wie beispielsweise "I still haven't found what I am looking for".

Ich habe viele meiner Lieder in den USA das erste Mal in einer Gospelkirche vorgetragen, so fühlt es sich für mich ganz stimmig an, dass ich in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde. Mein persönlicher Hintergrund ist nicht so kirchlich geprägt, aber sehr spirituell. So lebte ich auf meiner Reise durch Asien längere Zeit in einem buddhistischen Kloster und habe mich während der Zeit viel mit Meditation beschäftigt, was sehr einflussreich war für meine künstlerischen Produktionen, sei es in der Musik, wie auch der Malerei und Bildhauerei. Grosse Themen sind für mich auf meine innere Stimme und meine Intuition zu hören und dem zu folgen. Das ist der nach Innen gerichtete Teil. Der nach Außen gerichtete Teil ist es die ganze Welt zu integrieren und sie lieben zu lernen. Doch verlangt dies auch eine gewisse Tiefe, denn dies geht nur, wenn man das Potenzial hinter der korrupten Oberfläche sieht bzw. das Licht in der Dunkelheit, sonst kann man zu dieser Kriege führenden und ausbeuterischen Welt nicht "Ja" sagen.

Oder ich versuche es anders auszudrücken: Meine Religion ist nicht buddhistisch. Meine Religion ist nicht christlich. Meine Religion hat keine konfessionelle Färbung. Meine Religion ist Liebe! Und das schließt wieder den Kreis und bringt mich zurück zur Kernaussage der Gospelmusik.

 

Ich spüre in deiner Musik einen sehr starken Drang nach Kommunikation. Schreibst du deshalb Gospelsongs weil die Menschen bei dieser Musik besser zuhören?

 

Ich habe die Lieder intuitiv geschrieben und mir fiel erst im Rückblick auf, das es Gospelsongs sind. Ich weiss auch nicht, ob die Menschen bei Gospelsongs besser zuhören. Typisch für einen Gospelsong oder eine Kirchenhymne ist es, dass der Vers den Weltschmerz ausdrückt und es im Chorus eine Öffnung zum Geistigen gibt, wo dieser Weltschmerz erlöst werden kann. Dabei ist der Liedtext meist sehr abstrakt gehalten und erzählt gewöhnlich keine individuelle, spezifische Geschichte. Natürlich kann man den Gospelsong auch melodiös und im Arrangement charakterisieren, doch sehe ich die Liedform darin als genreübergreifend an. Ich zumindest habe die Songs popig/rockig arrangiert, weil es die Musik ist, die mich am meisten beeinflusst hat und es sich für mich so am authentischsten angefühlt hat.

 

Wäre es nicht einfacher für dich dein Publikum zu finden, wenn du dich gänzlich innerhalb des Gospelgenre bewegen würdest, weil deine Inhalte schneller erkannt und gewürdigt werden könnten.

 

Mag sein, doch stellt sich die Frage für mich nicht. Einmal aus dem eben genannten Grund der Authentizität und dann, weil es mir innerhalb der kirchlichen Gospelszene bald zu eng werden würde.

Vielleicht kann ich besser verstanden werden, worum es mir in meiner Musik geht, wenn ich eine Symbolfolge für Bewusstheitsstufen des Menschen aus der Psychologie verwende, die mit dem Symbol des Esels, des Löwen und des Kindes dargestellt sind.

Der Esel gilt als der "Jasager", der sich mit Lasten beladen lässt und den Weisungen anderer folgt. Dabei ist ihm der eigene Wille genommen worden oder er ist zu schwach ihn gegen sein Umfeld durch zu setzten.

Der Löwe gilt als der "Neinsager". Er will seinen eigenen Willen leben und sich nicht länger von seinem Umfeld manipulieren lassen und rebelliert. Doch ist auch der Löwe nicht frei, denn er reagiert. Er ist nicht so ummittelbar mit seiner inneren Stimme verbunden, dass er ungeachtet des Umfeldes agieren und kreieren könnte.

Für diese Entwicklungsstufe steht die des Kindes. Das Kind ist wieder ein "Jasager", doch hat das "Ja" eine ganz andere Qualität als die des Esels. Das Kind steht für Authentizität und Verbundensein mit der inneren Stimme und dem essenziellen Sein. Was auch beinhalten kann, dass es gegen sein Umfeld rebelliert und ein entschiedenes "Nein" herausschreit. Doch bleibt es in seinem Inneren im Zustand der Bejahung, weil es sich vom Fluss des Lebens getragen fühlt, auch wenn sonst alles den Bach runter geht.

Bezüglich meines Songwritings sehe ich mich in dieser Symbolfolge bei dem Symbol des Kindes. Dies mag Missverständnisse hervorrufen, denn wie gesagt, nicht nur das Kind sagt "Ja", sondern auch der Esel. Ausserdem findet Rock und Pop Musik für gewöhnlich auf der Bewußtheitsstufe des rebellierenden, "Nein" sagenden Löwens statt, der seinen eigenen Willen leben will. Ich finde es dennoch gut, dass ich meine Lieder als Rock und Pop Songs aufgenommen habe und nicht als Gospelsongs, weil es eine gewisse Reibungsfläche erzeugt und Reibung finde ich immer künstlerisch wertvoll.

 

Ein interessanter Ausspruch: "Reibung finde ich immer künstlerisch wertvoll". Welche Reibung willst du denn erzeugen?

 

Huh, das hängt ja auch immer von dem Gegenüber ab. Wahrscheinlich ist der Ausspruch auch gar nicht haltbar. Was ich aber eigentlich sagen will: wenn man die verschieden Kulturepochen betrachtet, egal welches Volk und welches Zeitalter, so gibt es im Alltag Tendenzen, die den Menschen unterstützen sein Potenzial zu entwickeln und es gibt Tendenzen, die ihn hindern. Natürlich ändern sie sich von Volk zu Volk und Zeitalter zu Zeitalter. Doch der Mensch hatte schon immer eine Sehnsucht sein Potenzial ganz zu entwickeln, weil er sein grösstes Glück und seine grösste Freude darin erahnt. Und da setzt eben die Kunst ein. Die Kunst ist gewissermassen eine künstliche Perspektive auf das Leben des Alltags, um das wieder in Bewegung zu setzen, was ins Stocken geraten ist. Es ist der Versuch dem ungelebten Leben in uns, neues Leben einzuhauchen. Auch wenn Künstler sich gemäss der Zeit und der gesellschaftlichen Situation anders ausdrücken, es ist zuerst immer ihre Aufgabe ihr Potenzial zu entwickeln, authentisch zu sein und ihrer Intuition zu folgen. Wenn sie das möglichst gut tun besteht die Möglichkeit, dass sie vielleicht etwas von dem ausdrücken, was die Gesellschaft gerade nicht lebt, was sie aber braucht, um ihrerseits an ihr Potenzial erinnert zu werden und erfüllter zu leben. Die Künstler, die das tun, sind die besten, weil aus ihnen neues Leben entsteht.

Kunst kommt nicht von Können. Sicherlich ist es wichtig sein Handwerk zu beherrschen. Aber künstlerisch wird es eigentlich erst spannend, wenn der Künstler bewusstseinserweiternd wirkt und die Menschen inspiriert. Das meinte ich mit Reibung. Solange ein Künstler der Gesellschaft nur das gibt, was sie sowieso schon hat, was in den Alltag integriert wurde, ist er bestenfalls ein Handwerker. Nicht selten haben solche Künstler die größten Erfolge, weil das Klischee schneller erkannt wird und viele Menschen nur das sehen und wertschätzen, was sie bereits verinnerlicht haben. Außerdem macht das Neue auch oft Angst.

 

Du willst jetzt aber nicht sagen, dass deine Musik innovativ ist. Sie erscheint mir eigentlich mehr traditionell.

 

Natürlich sage ich nichts Neues. Die Griechen sagten ja bereits alles. Was die Verpackung angeht haben meine Lieder nichts Neues, vielmehr sind sie in einer Weise arrangiert, die man als zeitlos klassisch bezeichnen könnte. Auf der anderen Seite gibt es von Jesus Aussprüche die radikaler und innovativer sind als von dem heute lebenden linkesten Linken. Für mich wird etwas nicht alt, weil es vor 2000 Jahren gesagt wurde. Für mich wird es alt, weil es verinnerlicht, verdaut und ausgeschissen wurde. Solange es aber noch nicht Geist der Straße geworden ist, solange es noch nicht gelebt wird, hat es für mich etwas Innovatives und Inspirierendes, auch wenn es möglicher Weise bereits vor 2000 Jahren und früher von einem Künstler oder Propheten gesagt wurde.

Die Avantgarde hat sich immer dadurch charakterisiert, dass sie Tabus gebrochen hat und Skandale hervorrief. Das ist auch der Grund, warum sie sich heute zu Tode läuft. Wir haben ein so großes Maß an Freiheit erreicht, dass kaum mehr eine Provokation übrig bleibt, außer man wird immer roher und primitiver. Ich sehe es für die Künstler meiner Generation mehr als Aufgabe die Freiheiten, die wir haben, zu integrieren und ihnen einen geistigen und spirituellen Halt zu geben. Denn ohne den ist die Freiheit eine Gefahr und ein Abgrund.